February 27, 2020
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Dr. Ingobert Waltenberger

Online Merker

CD GRIEG VIOLINSONATEN – Eldbjørg Hemsing, Simon Trpčeski; BIS

Eldbjørg Hemsing, Simon Trpčeski Grieg: The Violin Sonatas BIS, VÖ 6.3. 2020 Edvard Grieg: Sonate Nr. 1in F-Dur, Op. 8 Sonate Nr.2 in G-Dur, Op. 13 Sonate Nr. 3 in C-Moll, Op. 45
Eldbjørg Hemsing: Homecoming (2019)

Eldbjørg Hemsing: Ahnenforschung mit Edvard Grieg Auf ihrem neuen Album, das am 6.3.2020 bei BIS erscheint, folgt Eldbjørg den Spuren ihres Ururgroßvaters, der einst Edvard Grieg zu einem seiner bekanntesten Werke inspirierte.

Wer wie Eldbjørg Hemsing zu den renommiertesten Botschafterinnen der norwegischen Musikkultur gehört, kommt an Edvard Grieg nicht vorbei – als Leitfigur der norwegischen Romantik ist der Komponist noch heute zentral für das musikalische Selbstverständnis des Landes. Dass Hemsing für ihr kommendes Album Grieg-Sonaten einspielte, hat jedoch auch einen weitaus persönlicheren, biografischen Hintergrund. 1848 reiste Griegs Assistent Ludvig Mathias Lindeman durch Norwegen, um für seinen Arbeitgeber besonders schöne und interessante Volksmelodien zu recherchieren. In Valdres, dem Heimattal der Hemsing-Familie, traf er dabei auf Anders Nielsen Pelesteinbakken, Eldbjørg Hemsings Ururgroßvater. Dieser wies Lindeman auf ein Melodiefragment hin, das Grieg schließlich scheinbar so inspirierte, dass er es zum Thema der berühmten Ballade (Op. 24) machte.

Gute 170 Jahre später präsentiert nun Eldbjørg Hemsing ihre Interpretation von Griegs drei Sonaten für Geige und Klavier. Die Werke gelten als repräsentativ für verschiedene Schaffensphasen Griegs und entstanden über einen Zeitraum von über zwanzig Jahren. Besonders in der zweiten Sonate eröffnet sich dem Hörer Griegs Anliegen, die nationale Klangkultur seines Heimatlandes musikalisch abzubilden, u.a. durch an Bauerntänze angelehnte Sequenzen –, ideales Material für Eldbjørg Hemsing, die sich seit langem leidenschaftlich für den Erhalt der folkloristischen Musiktradition Norwegens einsetzt. Auch auf vergangenen Veröffentlichungen wählte Hemsing deshalb Komponisten wie Antonín Dvořák und Hjalmar Borgström, die entweder starke Bande zu Norwegen oder zur Volksmusik ihrer Heimatkultur pflegten. Wer also könnte eine geeignetere und authentischere GriegInterpretin sein als Hemsing? Den Grieg-Sonaten zur Seite gestellt hat die Violinistin die Eigenkomposition „Homecoming“, die auf einer Volksmelodie aus Valdres basiert –, auch als Entsprechung dafür, welch persönlichen Stellenwert die neue Einspielung für sie einnimmt. Mit dem Pianisten Simon Trpčeski holte sich Hemsing darüber hinaus einen starken musikalischen Partner ins Boot, seines Zeichens Nationalkünstler seiner Heimat Mazedoniens und ebenfalls für sein Interesse an traditioneller Volksmusik bekannt.

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Die norwegische Geigerin Eldbjørg Hemsing und der mazedonische Pianist Simon Trpčeski nehmen sich auf ihrem neuen Album der drei Violinsonaten von Edvard Grieg an. In einem Zeitraum von über 20 Jahren (1865-1886) entstanden, repräsentieren diese Duosonaten unterschiedliche Schaffensperioden und künstlerische Aspekte des Komponisten. Die frühe Sonate in F-Dur des 22-jährigen Grieg wurde vom Kollegen Niels W. Gade zwar gelobt, allerdings fehlen der Musik noch jenes Wissen um die tiefsten Aspekte der Seele und jene individuell charakterisierten polaren Klangwelten, die den späten Grieg auszeichnen. Die Musik scheint direkt einer nordischen Landschaft entsprungen. Dieser unbeschwert, melodisch frische Spaziergang über Wiesen und Felder, von Blume zu Blume, erzielt in der lebendigen Wiedergabe durch Hemsing/Trpčeski eine Wirkung wie ein durchkomponiertes Lieder- und Balladenalbum ohne Gesang. Positiv fällt sofort die Augenhöhe in der Ausdruckskraft der beiden Solisten auf. Der passionierte Zugriff und das glasklare Spiel des Pianisten tragen maßgeblich dazu bei, dass sich die Geigerin in ihrem Spiel wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser bewegen kann. Das stimmungsvolle überschwängliche bis verträumte Allegro molto vivace gibt Gelegenheit, virtuos loszulegen, aber auch empfindsam der romantischen Grundanlage des Werks freien Raum zu lassen.

Die Sonate in G-Dur wurde im Sommer 1867 geschrieben. Ob sie eine Liebeserklärung an Griegs Frau Nina Hagerup war oder generell als ein Hymnus auf die Hochzeitsfeiern des ländlichen Norwegens gehört werden soll, sei dahingestellt. Folklore und Tänze dominieren jedenfalls diese Sonate, was den berühmt berüchtigten Wiener Kritiker Eduard Hanslick dazu verleitete, Grieg als „Mendelssohn im Robbenfell“ zu bezeichnen. Grieg wählte einen bekannten Volkstanz namens Springdans als Modell für den ersten und den letzten Satz, dazwischen gibt es melancholischere Seiten zu erkunden. Norwegen stand damals unter dänischer Herrschaft und das nationale Element in der Musik zu pflegen, war ein in Europa weit verbreitetes Phänomen. Dennoch erzählt Griegs Werk pointiert überdies von den Einflüssen, die Beethoven und Schumann offenbar auf sein Schaffen bewirkt haben.

Was zudem auffällt, ist die enorme kompositorische  Entwicklung, die Grieg in den beiden Jahren seit dem Erstling durchlebt hat. Wesentlich komplexer, differenzierter in der Atmosphäre und den lautmalerisch entwickelten Stimmungen, folgen auch die beiden Interpreten voller Elan dieser kurvigen Spur. Faszinierend ist das traumwandlerische Miteinander von Eldbjørg Hemsing und Simon Trpčeski in Dynamik und Tempo, das Ballabgeben und -aufnehmen, das kunstreiche Dribbeln, die gestische Lebendigkeit ihrer Interaktion.

1886, als höchst erfolgreicher Komponist, Pianist und Dirigent, setzte sich Grieg noch einmal mit dieser kammermusikalischen Form auseinander. Inspiriert von der jungen italienischen Geigerin Teresina Tua, entstand die reifste und interessanteste der drei Sonaten, diesmal in c-Moll. Wiederum ist die rhythmische Kraft des Spiels, die Eleganz und Verinnerlichung des Tons zu konstatieren. Letztlich aber sind vor allem die zahllosen hier farblich dunkleren Abschattierungen zu bewundern, die die beiden Solisten voller Finesse aus den Noten zeichnen. Trotz des intimen, in keiner Faser aufdringlichen Duktus’ der Sonate stellen sich verblüffende orchestrale Effekte ein.

Wer diese meisterlichen kammermusikalischen Edelsteine noch nicht kennt, kann mit diesen magisch schönen Interpretationen sein Glück versuchen.

Written by: Dr. Ingobert Waltenberger, Online Merker